In der Sauna sind alle gleich
Sauna, Saun, Pirts, Pirtis – egal ob auf Finnisch, Estnisch, Lettisch oder Litauisch, die Sauna ist im Norden Alltagsgut, soziales Networking, Lebenselixier. Kurz: Ohne Sauna geht gar nichts.
Ofen anwerfen, mit den Kleidern den Alltag abstreifen und ab in den Schwitzkasten. Die Sauna gehört dazu. Es gibt sie standardmäßig in (fast) jedem baltischen Haus. Saunen sind sogar mobil im Einsatz – auf Booten, in Feuerwehrautos oder als Caravan-Anhänger. Sauna ist lebenswichtig. Im Kältewinter 2022, kurz vor Weihnachten, hat Estland eine mobile Sauna- und Badeeinheit zu den Frontsoldaten in die Ukraine geschickt - zur Entspannung, Stärkung, als kurze Auszeit vor dem Horror des Krieges, als Balsam für die Seelen.
Konstruktive Debatten und nackte Wahrheiten
Die aktuelle Europäische Kulturhauptstadt Tartu lud im Mai 2024 gar mit dem Sauna-Debattenfestival zur "nackten Wahrheit" bei hitzigen Temperaturen. Die Idee dahinter: In der Sauna sind alle gleich (nackt). Die Sauna ist somit der demokratischste Ort überhaupt. Bei den Debatten in elf mobilen Hitzekammern in der Stadt galt die Regel des "konstruktiven Dialogs" mit Augenmaß und Respekt. Damit wurde das alte Diktum befolgt, wonach man in der Sauna niemals destruktiv streiten und auch keine Streits klären sollte. Nach dem estnischen Volksglauben würde das die guten Geister verschrecken - das kann keiner wollen!
"Die Grundidee ist, dem Rest der Gesellschaft zu zeigen, dass wir mit Hassreden, der Polarisierung in den Medien und der toxischen Gesprächskultur klarkommen, wenn wir uns daran erinnern, wie wir uns in der Sauna verhalten", sagte die Organisatorin Hannele Valkeeniemi vom Finnischen Institut in Estland der Deutschen Presse-Agentur.
Sauna ist Leben. So war es in Estland, Lettland, Litauen schon immer. Der Ort, an dem sich der gesamte Lebenszyklus schließt: Hier wurden Babys geboren, Körper geschrubbt, Herzen ausgeschüttet, Krankheiten ausgetrieben, Keime erstickt, Feste gefeiert, Familien über Generationen hinweg versammelt, sogar die Toten gewaschen.
Badehaus und Räucherkammer
Auf jedem Bauernhof in Estland und Lettland gab es früher so ein "Badehaus", möglichst direkt neben See oder Bach, das außer der Körper- und Gesundheitspflege gleich noch als Räucherkammer diente. Herzstück dieser traditionellen Rauchsauna ist ein Holzofen ohne Schornstein oder Rauchabzug. Stundenlang brennt das Holz und heizt die dichte Holzkammer auf. Der Rauch bleibt im Raum hängen, räuchert dabei Fisch und Fleisch und heizt nebenbei die Bude auf. Ist das Holz verbrannt und die gewünschte Temperatur erreicht, wird der Holzofen geschlossen und Fenster geöffnet bis der ganze Rauch samt schädlichen Rußgasen verflogen ist. Bahn frei fürs schweißtreibende Wohlfühlprogramm.
Sauna ist immaterielles Kulturerbe
Im preisgekrönten Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood" der estnischen Filmemacherin Anna Hints aus dem Jahr 2023 wird die lebensumfassende Bedeutung des gemeinschaftlichen Schwitzens und inneren Fallenlassen spürbar. Wegen der besonderen Bedeutung in Estland und Lettland wurde die Rauchsaunakultur 2014 in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
Stress löst sich in Dampf auf
Die Rauchsaunen sind zwar zunehmend modernem Equipment gewichen und oftmals nur noch touristisches Highlight. Der Effekt im Schwitzkasten samt seiner Rituale und Aufgüsse ist aber bis heute gleich geblieben. Egal, ob man in einer finnischen Sauna schwitzt, in einer Dampf-, Nass- oder Salzsauna und egal ob mit echter Kohle, Elektro oder Infrarot befeuert: Der Alltagsstress löst sich in Dampf auf, der Körper regeneriert und der Geist wird frisch.
Das Wichtigste dabei ist der Aufguss (Estnisch: "leil"), der den Körper ins Schwitzen bringt. (Kübel und Kelle dafür gibt es bei uns!) Dazu ist es in Estland und Litauen üblich mit so genannten Sauna-Quirlen (Estnisch: "viht" bzw. "vihad" im Plural) den Körper abzuschlagen. Am beliebtesten sind Birken-, Eichen-, Linden- und Wacholderzweige, doch die richtigen Profis verwenden verschiedenste Pflanzen für Gesundheit, Duft und Energie. Dieses Abschlagen (gerne auch gegenseitig) ist Massage und Dufttherapie in einem, und fegt dazu abgestorbene Hautzellen hinweg. Danach ein Body-Scrub, eine Lehm- oder Honigmaske und Mensch fühlt sich wie neu.
Seppelhut als Isopack
Die Kur für Körper und Geist gehört natürlich auch für uns Mitteleuropäer längst zum klassischen Wellnessprogramm. Eine Besonderheit aus dem Norden sollten wir uns allerdings noch abschauen: Der Sauna-Pro schwitzt wahlweise unterm Seppelhut aus Schurwollfilz oder als Wikinger oder König. Der Isopack auf dem Kopf schont den Kreislauf und schützt die empfindliche Kopfhaut, die Haare und die Ohren vor der ärgsten Hitze. So gut behütet kühlt der Kopf nach dem Saunagang auch nicht so schnell aus.
Vom Material her ist Schafwolle perfekt. Sie muss nicht gewaschen werden, lüften reicht. Zumal Schafwolle antibakteriell und schmutzabweisend ist.
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